18

 

„Wie geht's Harvard?“, fragte Lucan, als Gideon aus der Krankenstation des Hauptquartiers kam.

„Immer noch bewusstlos, aber momentan ist das vermutlich sogar das Beste. Zum Glück ist die Kugel glatt durchgegangen, aber die üblen Ein- und Austrittswunden an Brust und Rücken werden einige Zeit brauchen, um zu heilen. Er kommt schon wieder in Ordnung, aber eine Weile lang wird er noch Schmerzen haben, und er ist mindestens eine Woche außer Gefecht.“

„Scheiße“, murmelte Lucan. „Das Letzte, was wir brauchen, sind Ausfälle, gerade wenn Dragos seine Offensive startet.“

Der Vorfall vorhin in der Stadt war ihnen allen eine Offenbarung gewesen. Dem Orden war zwar bekannt gewesen, dass Dragos weitere hoch spezialisierte Killer wie Hunter auf Abruf zur Verfügung standen, allesamt loyal gehalten durch UV-Licht-Halsbänder, die sich nicht abnehmen ließen und programmiert waren, zu explodieren und ihnen den Kopf abzutrennen, wenn sie das Gerät beschädigten oder sich seinen Befehlen widersetzten. Aber Lucan und der Orden hatten bisher nicht hundertprozentig gewusst - und ehrlich gesagt graute Lucan bei der Vorstellung - , dass einer oder mehrere dieser Killer Stammesvampire der Ersten Generation wie Hunter waren.

Und wenn Dragos weitere Gen-Eins-Killer in seinen Diensten hatte - Gen Eins, die Hunter bemerkenswert ähnelten und auch ähnliche Glyphen hatten - , dann musste der Bastard sie züchten, und zwar mithilfe eines der originalen, außerirdischen Väter der Vampirrasse auf diesem Planeten.

Einem Ältesten.

Sowie dem, den man jahrhundertelang in der Überwinterungskammer tief im Felsen der böhmischen Berge gefangen gehalten hatte, wie der Orden vor Kurzem entdeckt hatte. Den Dragos geweckt und weggebracht hatte, Gott allein wusste, vor wie langer Zeit schon.

Wenn diese Kreatur wirklich am Leben war und benutzt würde, um weitere Söhne mit der Stärke und den Fähigkeiten der Ersten Generation zu erschaffen - wenn so ein Zuchtprozess schon seit Jahrzehnten oder länger im Gange war - , dann hatten nicht nur der Orden und das Vampirvolk Grund zur Besorgnis, sondern die ganze Menschheit.

In großer Anzahl gezüchtet, wäre eine solch brutale, blutdürstige und mächtige Truppe praktisch nicht aufzuhalten.

Diese finsteren Gedanken verfolgten Lucan, als er und Gideon die Krankenstation verließen und über die gewundenen Korridore zum Techniklabor gingen.

Dort war das gesamte Hauptquartier versammelt; die von der Patrouille heimgekehrten Krieger und alle Stammesgefährtinnen. Hunter war auch da, der riesenhafte Gen Eins stand am Ende des Raumes, während der Rest der Gruppe um den riesigen Konferenztisch in der Raummitte Platz genommen hatte.

Lucan nickte ihm wortlos zu, eine stumme Würdigung von Hunters Hilfe in der heutigen Nacht - er hatte vermutlich mehr als einem Krieger den Arsch gerettet, und durch ihn hatte der Orden nun eines von Dragos' technologischen Wunderwerken in die Hand bekommen - das UV-Halsband des toten Killers. Es war zerbrochen und detoniert, aber Gideon hatte mit dem Gerät herumgespielt, seit man es ihm gebracht hatte, und versucht herauszubekommen, wie es funktionierte und ob man es irgendwie gegen seinen Träger einsetzen konnte.

„Was macht der Arm?“, fragte Lucan und wandte seine Aufmerksamkeit Brock zu, der zwischen Kade und Nikolai am Tisch saß.

Der massige Krieger zuckte mit seiner wunden Schulter und grinste breit. „Dem wird's sofort besser gehen, sobald ich eine Chance habe, eine dieser Gen- Eins-Missgeburten auszuschalten.“ Er sah zu Hunter hinüber. „Nicht persönlich nehmen.“

Die goldenen Augen des Vampirs waren völlig ausdruckslos. „Tu ich nicht.“

Lucan nahm seinen Platz neben Gabrielle am Kopf des Tisches ein und wandte sich an sein versammeltes Team. „Nach allem, was wir vor ein paar Stunden erfahren haben, hat unsere Mission, Dragos und seine Operation auszuschalten, eine neue, akute Zielvorgabe dazubekommen. Ich muss keinem von euch sagen, dass das Allerletzte, was wir derzeit brauchen, ein Gen-Eins-Killer ist, der frei in der Stadt herumläuft, willkürlich Menschen abschlachtet und überall Verwüstungen anrichtet.

Wir können jetzt hoffen, dass es nur dieser eine war, ein isolierter Einzelfall, aber Hoffnung allein genügt mir nicht. Ich brauche Fakten. Solide Informationen darüber, womit wir es hier zu tun haben - bevor Dragos es uns womöglich direkt ins Haus schickt.“

Einige Krieger um den Tisch nickten, und mehr als einer von denen, die Gefährtinnen hatten, warfen Lucan einen Blick zu, der dasselbe Grauen ausdrückte, wie er es jedes Mal bei dem Gedanken empfand, dass ihr Krieg gegen Dragos ihr eigenes Hauptquartier erreichen konnte.

„Morgen Nacht werden wir die ganze Stadt durchkämmen“, sagte er. „Wir teilen uns auf: Tegan, Hunter und ich begleiten je eine Gruppe, für den Fall, dass wir mit mehr Gen Eins zusammenstoßen. Es ist eine Ausrottungsaktion; sobald wir einen von Dragos' Killern entdecken, wird er sofort eliminiert. Ich will, dass der Bastard seine Grenzen erkennt, ich will ihn zurücktreiben. Ihm einen harten Schlag versetzen.“

„Vielleicht ist das genau das, was er will“, meinte Tegan. „Was, wenn Dragos uns nur ködern will mit dem, was in den letzten zwei Nächten passiert ist?

Wenn er versucht, uns in Straßenkämpfe mit seinen Geschöpfen zu verwickeln, damit wir ihn nicht weiter verfolgen?“

Lucan nickte. „Möglich. Aber wenn er uns Killer in die Stadt geschickt hat, können wir uns nicht leisten, es darauf ankommen zu lassen. Wir müssen uns der Bedrohung mit aller Kraft entgegenstellen.“

Sehr subtil und sanft legte Tegan seine Hand über Elises. „Stimmt.“

„Okay“, sagte Lucan. „Dann nehmen wir uns mal die Karte vor und teilen die Einsatzgebiete für morgen Nacht auf.“

Reichen klappte das Handy zu und fuhr sich mit der Hand über den Kopf. „Herr im Himmel.“

„Schlechte Neuigkeiten?“ Claire kam in ein Handtuch gewickelt aus dem Badezimmer, auf ihrem Körper glitzerten noch Wassertröpfchen von der Dusche.

„Es sieht gar nicht gut aus“, sagte er und sah von der Bettkante auf, wo er saß. Es war fast Mitternacht, und er hatte noch abwarten wollen, bis Claire im Bad fertig war und sich angezogen hatte, bevor er das Thema anschnitt, Newport zu verlassen - da war der beunruhigende Anruf vom Orden gekommen.

„Zwei Krieger wurden heute Nacht bei einem Zusammenstoß mit einem von Dragos' Schergen angeschossen.“

„Um Gottes willen“, flüsterte sie. „Tut mir leid, das zu hören, Andre. Wie schrecklich.“

Reichen nickte düster. „Sie haben jetzt einen Ausfall und planen für morgen Nacht eine intensive Durchsuchungsaktion in der Stadt, um alle anderen potenziellen Gefahrenquellen auszuschalten.“

Langsam ging Claire zu ihm und setzte sich, aber anstatt ihn zu berühren, schlang sie die Arme um sich selbst.

Er konnte ihr Unbehagen spüren, sowohl an der zögernden Art, wie sie sich bewegte, als auch an ihrem plötzlichen Adrenalinstoß, der auch in seinen eigenen Venen widerhallte.

„Glauben sie, dass Dragos in Boston ist?“

„Ich weiß nicht. Schlimm genug, dass er seine Gen- Eins-Killer geschickt hat, um Probleme zu machen.“

„Er hat Killer, die Vampire der Ersten Generation sind?“ Claires Miene verdüsterte sich noch mehr. „Ich hatte keine Ahnung. Dragos muss ein sehr gefährlicher Feind sein.“

„Ja“, pflichtete Reichen ihr bei. „Aber die Gen-Eins- Killer sind nur ein Aspekt von dem, was ihn so gefährlich macht. Er hat auch noch andere Dinge... der Orden glaubt, dass er einen der Ältesten in seiner Gewalt hat, ihn irgendwo an einem Ort versteckt, den wir erst noch aufspüren müssen.“

Claire runzelte die Stirn. „Aber die Ältesten wurden doch alle im Mittelalter getötet. Es war der Orden, der ihnen den Krieg erklärt und die Hinrichtungen ausgeführt hat. Diesen Teil der Stammesgeschichte kenne sogar ich.“

Reichen schüttelte langsam den Kopf. „Einer ist dem Krieg mit dem Orden entkommen. Er wurde heimlich weggeschafft und für sehr lange Zeit in einer Gruft in Böhmen versteckt - bis Dragos ihn dort herausholte. Ich habe die leere Gruft selbst gesehen, letztes Jahr, als ich mit einigen der Krieger auf den Berg in Prag gestiegen bin. Wir hatten gehofft, dass der Älteste lange lot sei, aber dem ist nicht so.

Offenbar hält Dragos die Kreatur schon seit Jahrhunderten am Leben und benutzt sie, um eine neue Generation der mächtigsten Vampire zu erschaffen, die die Welt je gesehen hat. Mit genug Zeit und Mitteln könnte Dragos sich eine Privatarmee von Gen-Eins-Killern heranzüchten, die ihm aufs Wort gehorchen.“

„Nicht, wenn der Orden ihn aufhalten kann“, sagte Claire hoffnungsvoll.

„Wir müssen ihn aufhalten“, berichtigte Reichen.

„Wir müssen ihn angreifen, wo und wie immer wir können.“

Claire sah ihn vorsichtig an. „Wir? Aber du bist kein...“

„Ich bin ihnen etwas schuldig“, sagte er ernst. „Der Orden war für mich da, als ich ihn brauchte, und ich habe den Ordenskriegern geschworen, dass ich für sie da bin, wenn sie mich brauchen. Ich kann sie nicht im Stich lassen.“

„Was bedeutet das also?“

„Sie haben in Boston einen Ausfall. Ich muss für ihn einspringen.“

„Du gehst nach Boston?“ Er wusste nicht, warum ihr Puls plötzlich losraste, aber er spürte das Echo ihres Erschreckens in seinen Venen. „Aber du bist keiner von ihnen, Andreas. Du bist kein Krieger, wie können sie dich nur um so etwas bitten?“

„Sie haben mich um gar nichts gebeten. Ich habe ihnen meine Hilfe angeboten, weil sie meine Freunde sind.“

Sie wandte den Kopf ab, rang sichtlich nach Worten. „Aber ich dachte, wir wären... ich dachte, nach der letzten Nacht nach allem, was wir einander gesagt haben...“

Er legte sanft seine Hand auf ihre Wange. „Das ändert gar nichts daran, was wir hier miteinander erlebt haben oder an meinen Gefühlen für dich. Ich liebe dich, Claire. Aber hier geht es nicht um eine Entscheidung zwischen ihnen, und dir. Es ist einfach meine Pflicht. Meine Ehre. Und wenn es mich Roth näher bringt, mit dem Orden gegen Dragos zu kämpfen, umso besser.“

Claire stand auf und ging unruhig durch den Raum, fort von ihm. Ihre Schultern waren angespannt. Auch ohne Blutsverbindung hätte er sofort bemerkt, dass sie tiefer beunruhigt war, als sie eigentlich Grund hatte.

„Dir war doch klar, dass wir hier nicht lange bleiben können.“ Er ging zu ihr hinüber und drehte sie sanft zu sich herum. „Der Orden schickt uns einen Wagen.

Er wird in der nächsten Stunde da sein.“

„Man wird dich umbringen“, sagte sie, und ihre Stimme versagte. „Andreas, wenn du nach Boston gehst, wirst du sterben. Ich kann es in meinem Herzen spüren. Wenn deine Rache dich nicht umbringt, dann wird deine Wut es tun.“

Er hob ihr Kinn, sodass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. „Ich habe mehr Gründe denn je, weiterleben zu wollen. Ich suche nicht absichtlich den Tod, aber ich kann nicht so tun, als würde ich auch nur einen Augenblick lang Frieden finden, bevor Roth und seinesgleichen nicht ausgelöscht sind. Und du auch nicht.“

„Du kannst nicht gehen“, murmelte sie, weigerte sich eigensinnig, ihn zu verstehen. Als er den Kopf schüttelte, sprach sie mit sogar noch größerer Entschlossenheit. „Was, wenn ich dich bitte, deinen Hass auf Wilhelm Roth aufzugeben? Was, wenn ich dich bitte, dich zu entscheiden...“

„Tu das nicht“, flüsterte er. „Ich habe keine Wahl.“ Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und hatte auf einmal das Gefühl, dass ihm etwas Kostbares unter den Fingern zerrann.

„Wenn ich jetzt bleibe - selbst wenn ich meinen Hass auf Roth aufgeben könnte, was fangen wir an, wenn er uns suchen kommt? Denn das wird er, Claire.

Das weißt du genauso gut wie ich.“

„Dann werden wir uns ihm gemeinsam stellen.

Wenn es überhaupt so weit kommt, werden wir ihn gemeinsam besiegen.“

Reichen schüttelte langsam den Kopf. „Das ist meine Schlacht, nicht deine. Wenn ich Roth endlich in die Finger bekomme, will ich dich nirgends in der Nähe haben, es ist viel zu gefährlich. Was denkst du, was mit dir passiert, wenn das Feuer in mir aufflammt und nicht mehr zu löschen ist?“

Gott, über dieses entsetzliche Szenario hatte er schon Hunderte von Malen nachgegrübelt, schon seit jenem Tag auf dem Acker vor Hamburg. Erst letzte Nacht hatte er wieder darüber nachgedacht, und auch heute, denn immer noch konnte er die heißen Kohlen spüren, die in seinen Eingeweiden glommen.

Wie würde er sich jemals verzeihen, wenn Claire durch ihn Schaden nahm?

„Ich kann es nicht riskieren“, sagte er wieder, dieses Mal nachdrücklicher. „Und ich werde auch nicht zulassen, dass du ein solches Risiko eingehst. Ich möchte, dass du noch heute Nacht mit mir ins Hauptquartier des Ordens kommst. Dort bist du in Sicherheit, und du kannst dort bleiben, bis...“

„Bis wann?“ Sie schloss lange die Augen, nahm die ganze Bedeutung seiner Worte in sich auf. „Bis du entweder tot bist oder sehr nahe dran? Du willst, dass ich tatenlos zusehe, wie du deiner eigenen Vernichtung entgegengehst, Andre? Jetzt bist du es, der zu viel verlangt.“

Er wollte ihr sagen, dass ihre Ängste unbegründet waren. Mehr als alles andere auf der Welt wollte er ihr versprechen, dass er keine Zweifel hatte, wie diese Sache mit Roth ausgehen würde. Er wünschte sich so sehr, sie beruhigen zu können - dass sie das alles irgendwie durchstehen würden, dass eine gemeinsame Zukunft sie erwartete, wenn all das zu Ende war - die Zukunft, die Wilhelm Roth ihr vor so vielen Jahren gestohlen hatte.

Aber er konnte ihr nichts vormachen. Roth auszuschalten würde ihm vermutlich den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung kosten. Wenn er seine Kraft zu ihrem höllischen Maximum entfesseln musste, um den Bastard zu vernichten, würde er es tun. Und er wusste, wenn die Situation das erforderte, lagen seine Chancen, mit einem Rest intakter Menschlichkeit daraus hervorzugehen, praktisch bei null.

Er sah hinunter auf ihr schönes Gesicht und strich ihr zärtlich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.

„Zieh dich an, ja? Wir können weiterreden, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis der Wagen da ist und uns abholt. Und du gehst mit mir mit, Claire. Das steht nicht zur Debatte.“

Sie sah ihn lange an und schwieg. Dann presste sie ihre Lippen zusammen und schüttelte leicht den Kopf. „Ich weiß, wo Roth ist, Andre.“

Reichen war sprachlos, diese Worte aus ihrem Mund zu hören. Er stand da wie vor den Kopf geschlagen und verwirrt, und tief in seinem Inneren braute sich Wut zusammen.

„Ich habe ihn durch meine Blutsverbindung gespürt, als wir letzte Nacht in Boston angekommen sind.“

Dieses Eingeständnis machte sie ihm nun mit ruhiger, fester Stimme, voller Gewissheit. Es ließ ihn innehalten, obwohl sein Puls schon in einem wilden Tempo loshämmerte. „Er ist hier in den Staaten?“

Sie nickte schwach. „In Boston.“

Reichens Blut begann zu sieden. „Das hast du gewusst? Du hast es gewusst und mir nichts gesagt?“

Er hatte nicht gewollt, dass es als Vorwurf herauskam, doch die Hitze, die in ihm aufflammte, machte es ihm schwer, Worte zu bilden. Ihm summte der Kopf, und alles, was er tun konnte, war, das auflodernde Feuer unter Kontrolle zu behalten, das bereits begann, sich durch seinen Körper auszubreiten.

Roth war keine Stunde von ihm entfernt.

Die ganze Zeit schon, fast zum Greifen nahe. „Ich konnte es dir nicht sagen, Andre. Ich wollte dir keine Informationen geben, die dich nur töten würden. Darum bin ich aus dem Flughafen davongelaufen, ohne dir etwas zu sagen. Aber dann bist du mir hierher gefolgt, und ich dachte, wenn wir etwas Zeit miteinander verbringen, so wie früher, würde ich dich überzeugen können, deine Rache aufzugeben.“

Reichen konnte kaum noch atmen. Seine Nasenlöcher füllten sich mit dem beißenden Geruch von Rauch und Hitze. Ein elektrisches Knistern flackerte durch seine Glieder, wurde jede Sekunde heißer. „Verdammt noch mal, Claire. Du hättest es mir sagen müssen. Ich hätte es wissen müssen.

Verdammt noch mal, auch der Orden hätte es wissen müssen.“

„Ich wollte nicht, dass du oder irgendjemand sonst durch meine Blutsverbindung zu Roth in Gefahr gerät.“

Ihm verschwamm alles vor Augen, bis er nur noch rot sah vor Wut. Er stapfte fort von ihr, rauchend vor Zorn.

„Claire, du bist diejenige gewesen, die hier die ganze Zeit über in Gefahr war. Wenn Roth ganz in der Nähe ist, musste auch er wissen, dass du hier bist. Er hätte jederzeit hier auftauchen können.“

„Aber er hat es nicht getan“, sagte sie ruhig hinter ihm. „Ich konnte dir nicht sagen, dass ich wusste, wo er war, weil du sofort die Verfolgung aufgenommen hättest. Oder willst du etwa behaupten, du hättest nicht darauf bestanden, dass ich dir dabei helfe, ihn zu finden, Andreas? So versessen, wie du auf deine Gerechtigkeit bist, wie lange würde es gedauert haben, bis du mich gebeten hättest, meine Blutsverbindung einzusetzen, um dich zu ihm zu führen?“

„Das hätte ich nie getan“, sagte er entsetzt. Er wirbelte herum, um sie anzusehen, sein Körper brodelte vor Hitze. „Ich hätte dich nie so benutzt.

Niemals. Gott, weißt du das denn nicht?“

„Ich schätze, ich wollte es eben nicht darauf ankommen lassen“, antwortete sie. „Andreas, bitte, sei mir nicht böse...“

„Böse? Ich bin verdammt wütend auf dich!“, brüllte er, unfähig, die Angst niederzuhalten, die sein Herz umklammerte.

Seine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug, den er in die Lungen sog. Er zitterte, denn an einem tief verborgenen Ort hatte sich in ihm eine Grube des Grauens aufgetan, so schwarz und endlos, dass sie ihn ganz verschlucken konnte. Und die Hitze seiner zerstörerischen Macht wurde ständig stärker, brannte durch seinen Verstand und seine Selbstbeherrschung. „Ich kann jetzt nicht in deiner Nähe sein. Ich muss hier raus.“

Als er Anstalten machte, an ihr vorbeizugehen, streckte Claire hastig die Hand nach ihm aus. Zu spät, sie zu warnen. Schon spürte er, wie ihre Finger sich um seine Hand schlossen. Sie schrie auf vor Schmerz und riss die Hand zurück, barg ihre Handfläche an ihrer Brust.

Oh Gott. Er hatte sie verbrannt.

Er war auf ihrem Herzen herumgetrampelt, und nun verletzte er sie auch noch körperlich. Wie er es schon immer befürchtet hatte.

Er ging an ihr vorbei und war mit ein paar raschen Schritten bei der Tür.

„Andreas“, rief sie hinter ihm her.

Er sah nicht zurück.

Sein Körper tödlich von der Hitze seiner Wut, stürmte er aus dem Raum und sprang über das Treppengeländer im zweiten Stock zur Eingangshalle hinunter. Wieder hörte er, wie sie seinen Namen rief, aber er hielt keine Sekunde lang inne. Jetzt glühte er, sein pyrokinetischer Fluch schoss ihm durch Adern und Glieder, Geist und Seele. Mit einem scharfen mentalen Befehl stieß er die Haustür auf und stapfte in die frische, kühle Nachtluft hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen.

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